Achtung! Thema des Textes ist der Verlust eines Kindes. Doch der Text birgt auch Hoffnung.
Der intrauterine Fruchttod (plötzlicher Kindstod im Mutterleib in der fortgeschrittenen Schwangerschaft) meiner erstgeborenen Tochter brach mir das Herz. Die unbändige Freude auf das Wunschkind, das unsere Familie ergänzen würde, wandelte sich in tiefe Trauer, das Gefühl des Verlassenseins, Kontrollvorlust und Ohnmacht. Mit dieser Fülle an zu verarbeitenden Emotionen war ich noch nie konfrontiert worden und auch mein Umfeld war überfordert von meinen Gefühlen. Natürlich waren zunächst alle schockiert, doch wenig später erwartete ich das Folgekind. Nun wäre es doch an der Zeit, sich auf dieses Kind zu freuen? Vielleicht war das andere ja gar nicht gesund und ist deshalb gestorben? (Es gab keine Hinweise auf eine Krankheit und der Grund des Todes wurde nie geklärt.) Außerdem schade ich doch bestimmt dem neuen Ankömmling im Mutterleib mit meinen tief verzweifelten Emotionen. Schwangere müssen doch wie auf Wolken schweben, oder? Diese Anforderungen konnte ich nicht erfüllen. Ich erlebte jede Facette meiner Trauer und ging durch jedes Gefühl. Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder ein normales Leben führen können würde, manchmal verlor ich selbst den Glauben daran. Aber das Wunder geschah. Langsam – unerhört langsam – heilte mein Herz.
Im Nachhinein analysiere ich, was zur Heilung meines Herzes beitragen konnte: Die einfache Frage nach meinem Gefühlszustand beispielsweise und das Aushalten meiner Antwort. Freunde, die von sich aus anboten, unser Grab zu gießen, während mein Mann und ich gemeinsam eine Reise wagten. Menschen, die uns einluden, obwohl ich nicht so fröhlich war, wie sie mich kennen gelernt hatten. Mein Mann, der meine Gefühlvielfalt ertrug und nie an unserer Ehe zweifelte, sondern sich als liebevoller Vater um unser gewünschtestes Folgekind kümmerte, wenn ich es nicht immer durchgehend konnte.
Viele Menschen in meinem Umfeld hatten natürlich Schwierigkeiten, die Dauer meiner Emotionen zu ertragen, wenn doch von außen betrachtet mein Wunsch nach einem Kind erfüllt worden war.
Also war ich selbst die, die ihre Trauer radikal annahm, die durch alle Gefühle ging. Denn irgendwo war da ein Funke von Hoffnung in mir, dass nach diesem finsteren Wald eine Lichtung erscheinen würde. Gleichzeitig entwickelte sich die Einsicht, dass ich diesen Weg gehen muss. Und es dauerte und ich lief und lief und war verzweifelt, aber ich erreichte die Lichtung. Natürlich bedeutet eine Lichtung kein freies sonniges Feld mit Blumen, sondern, dass noch mehr Wald durchschritten werden muss. Also ging ich weiter. Und das sonnige Feld kam!
Mein Herz war geheilt und ich erwartete freudig die Ankunft meiner dritten Tochter. Natürlich hatte ich Ängste wegen des Kindstodes, aber sie übermannten mich nicht. Ich sammelte Kraft für ein glückliches Familienleben. Und nun kann ich sagen, dass wir vier (nein, natürlich fünf!) sehr glücklich in unserem Mikrokosmos sind. Einmal wöchentlich besuchen wir das Grab unserer Erstgeborenen und verbringen auf dem schönsten Friedhof der Welt eine gute Zeit. Wir pflanzen Blumenzwiebeln und freuen uns über jeden „Sprießling“ (Wortkreation meiner mittleren Tochter). Dies gemeinsam erleben zu dürfen, bedeutet mir viel.
„Nur der Verwundete heilt.“ (Carl Gustav Jung)
Dieser Satz trifft mich in doppelter Hinsicht. Offensichtlich kann selbst nur heilen, wer einmal verwundet war. Doch noch viel mehr! Ich kann andere bei ihrer Heilung unterstützen, weil ich Schmerz und Trauer kennengelernt habe und nicht daran zerbrochen bin.
Diese Narben in meinem geheilten Herzen haben sich in eine Energiequelle verwandelt. Der Tod ist mir begegnet und hat mir die Ängste davor in folgender Hinsicht genommen: Wenn ich Menschen treffe, die einen Verlust erlitten habe, scheue ich mich nicht vor diesem Thema, wenn ich merke, dass ein Gesprächsbedürfnis vorhanden ist.
Darüber hinaus habe ich die Kraft gewonnen, anderen Müttern Mut zu machen. Mut dafür, sich und ihre Kinder bedingungslos anzunehmen und den Mut, die eigene Intuition zu spüren.
Außerdem ist transzendente Hoffnung in mir gewachsen, dass Herzen heilen können. Ich bin überzeugt davon, dass diese Hoffnung nach außen dringt, ohne gleichzeitig zu vermitteln, dass das Überspringen komplexer Trauergefühle möglich ist.